Donnerstag, 17. März 2011

Beleidigt, bedroht, geschlagen - Gewalt gegen Polizisten ist Alltag in Salzgitter

 Erschienen in der Salzgitter Zeitung, 12. März 2011

Arne Frintrup (vorn) und Björn Hirsch. (c) Stefanie Waske
Im Kopf von Arne Frintrup muss es eine Insel geben. Wenn jemand ihn angreift, braucht er einen Ort, an dem die Wellen seiner Gefühle sich brechen können. „Charakterstärke" nennt der Polizeibeamte das. Oder „ein dickes Fell anlegen".
Wer Frintrup und seinen Kollegen Björn Hirsch fragt, wie oft er schon mit Blessuren aus Einsätzen im Lebenstedter Klinikum war, bekommt prompt die Antwort: „Ich habe aufgehört zu zählen." Seinen Namen müsse er nicht mehr nennen, bemerkt er. Die wissen schon, was passiert ist: Die Polizisten haben Schläge bezogen. Meist sind es Schürfwunden und Prellungen.
Im vergangenen Jahr gab es 20 Prozent mehr solcher Fälle in Salzgitter. Widerstand gegen Polizeibeamte nennt es sich offiziell. Ralph Ehrenberg, Leiter des Einsatz- und Streifendienstes, fasst zusammen: „2010 gab es 40 solcher Fälle."
Beschimpfungen wie „Drecksbulle", „Wichser" und „schwanzloses Arschloch" sind die verbalen Angriffe - und kaum noch zu zählen. Schon Zwölfjährige werfen ihnen solche Worte an den Kopf. Kommt die Pubertät, so Frintrup, nehmen viele die Fäuste.
Es beginnt immer wie ein Routinefall. Im Sommer 2009 muss Hirsch mit einem Kollegen zu einer Wohnung in den Fredenberg. Nachbarschaftsstreit, so viel weiß er nur. Er will die Personalien des Störenfrieds aufnehmen. Da greift der sich unvermittelt eine eineinhalb Meter lange Eisenstange. Sein Kollege kann noch verhindern, dass der Mann damit zuschlägt. Sie sprühen dem Mann Reizgas ins Gesicht.
Das zeigt keine Wirkung, der Aufgebrachte wirft Hirsch zu Boden und will ihm seinen eigenen Schlagstock über „den Schädel" ziehen. Der junge Beamte wird mehr als eine Woche krankgeschrieben, sein kleiner Finger ist gebrochen.
Auch wenn er hinterher hört, dass der Angreifer psychisch krank war und unter Medikamenten stand: Hirsch ärgert sich, dass die Situation eskaliert ist. Doch, wie Ehrenberg betont: Solche Situationen lassen sich zwar trainieren - jedoch nur mit zurechnungsfähigen Menschen. Die Mehrzahl der Angreifer ist hingegen   betrunken   und   kaum   mit Worten ansprechbar.
So war es auch bei einem Fall, der sich Frintrup ins Gedächtnis eingeschrieben hat. Ebenfalls sieht es nach einem normalen Einsatz aus. wie es ihn fast täglich gibt: Ein betrunkener Mann will eine Kneipe nicht verlassen. Frintrup geht auf ihn zu und versucht, ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Da geht er schon auf ihn los, schlägt auf ihn ein. Seiner Kollegin tritt der Mann brutal in die Genitalien.
Die Polizisten fordern Verstärkung an. „Zwei, drei Minuten werden zur Ewigkeit", sagt Frintrup mit gesenkter Stimme. Derweil eskaliert die Schlägerei. Die Gäste der Kneipe spalten sich in zwei Lager. Eine Gruppe schlägt sich auf die Seite der Polizisten, die andere auf die des betrunkenen Mannes. „Es gab einen regelrechten Zweifrontenkrieg."
Später sitzen die Polizisten in der chirurgischen Abteilung des Klinikums. Die Anspannung, der Stress fällt ab. „Danach war ich bis unter die Haarspitzen erschöpft", beschreibt Frintrup seine Gefühle. Die will er im Zaum halten. Oft muss er nach einem Streit sofort zu einem anderen Einsatz, jemanden trösten, ihm Mut zusprechen. Dafür brauche er eine große „emotionale Kraft".
Doch auch, wenn der Angreifer verloren hat - manchmal gibt es eine bedenkliche Fortsetzung. Mancher droht den Polizisten. „Ich weiß, wo deine Frau wohnt." Hirsch: „Man versucht, es nicht an sich herankommen zu lassen."
Nicht immer gelingt es den Beamten, dies wegzuschieben. Sie wissen, wessen Drohungen sie ernst nehmen müssen. Und wem sie auf dem Altstadtfest in Zivil lieber aus dem Weg gehen. Hirsch berichtet von einem Kollegen in Hannover, der auf dem Parkplatz der Polizei überfallen wurde.
Was sie erleben, besprechen die Polizisten im Kollegenkreis, sagt Hirsch. Es sei wichtig, darüber zu reden. „Damit man das nicht mit nach Hause trägt." Was nicht immer gelingt. In Braunschweig gibt es speziell ausgebildete Beamte, die sich um solche Fälle kümmern. Das meiste, erzählen die Salzgitteraner. bleibt in der Dienststelle.
Gegen die Verwundungen hilft nur eines: Anzeigen. Auch, wenn viele Verfahren nicht vor dem Richter enden. Mittlerweile verhängen die Gerichte mehr Geldstrafen, sagt Ehrenberg. Hirsch hat für den gebrochenen Finger ein Schmerzensgeld bekommen - immerhin. Den Fall jedoch vergisst er nicht.
 (c) Foto und Text: Stefanie Waske